Pleiten, Pech & Pannen

Meine Reise nach England steht bisher noch unter keinem guten Stern. Angefangen hat alles mit einer überaus tragischen Nachricht.
Am Montag, 15.2.2010 sind im belgischen Ort Hal zwei Nahverkehrszüge miteinander kollidiert, wobei 20 Menschen zu Tode kamen und über 150 Menschen verletzt wurden. Der Grund dafür war wohl, dass der Fahrer eines dieser Züge übermüdet war und ein rotes Signal überfahren hat.
Um erläutern zu können, warum das meine Reisepläne beeinträchtigt hat, muss ich ein wenig weiter ausholen. Kurz nachdem ich vor rund 6 Monaten aus Australien zurück nach Deutschland gekommen bin, habe ich mal auf der Internetseite des Umweltbundesamtes einen sogenannten „CO2-Rechner“ bemüht um herauszufinden, um wie viele Tonnen CO2 ich unsere Atmosphäre im letzten Jahr bereichert habe. Es ist müßig zu sagen, dass ich, obwohl ich kein Auto besitze und auch sonst versuche, einigermaßen verträglich zu leben, der Klimasünder schlechthin war. Das Resultat dieses Tests sah fast normal aus, nur die Menge an CO2, die ich allein durch den Flug nach Australien und zurück verballert habe, war astronomisch hoch. Also habe ich mir vorgenommen, innerhalb von Europa in dem nächsten Jahr nur mit Bus oder Bahn zu reisen (na gut, nach Irland wird das wirklich schwer, obwohl es auch seinen Reiz hat, einmal wie Heinrich Böll seinerzeit nur mit Bahn und Schiff dorthin zu fahren).
Die Deutsche Bahn hat ganz interessante Angebote für Auslandsreisen, z.B. kann man für 54 € von jedem Bahnhof innerhalb Deutschlands aus nach London reisen. Dieses Angebot habe ich dann auch sofort genutzt und einen Zug für Sonntag, 21.02. um 6.27 Uhr ab Schwerte gebucht. Die Reise sollte dann über Köln mit einem ICE weiter nach Brüssel gehen, um dort in den Eurostar nach London zu steigen. So weit so gut, aber an dieser Stelle möchte ich gerne Hildegard Knef zitieren: „Von nun an ging’s bergab!“
Denn oben beschriebener Unfall ereignete sich leider auf der Strecke, die auch der Eurostar normalerweise befährt. So ging ab Montag das bange Warten los, ob die Strecke bis zum Wochenende wieder geräumt sein würde. Am Montag stand auf der Seite vom Eurostar so etwas wie „Heute und morgen bleibt die Strecke gesperrt. Wer nicht reisen muss, sollte dies auch nicht tun, Für die Leute, die dringend reisen müssen, gibt es einen Shuttle Bus nach Lille, von wo aus der Eurostar nach London abfahren wird.“ Diese Information änderte sich am Dienstag nicht, und auch am Mittwoch gab es noch keinerlei neue Informationen, bis wann die Strecke gesperrt sein würde. Erst am Donnerstag war klar: Die Strecke bleibt bis einschließlich Sonntag, 21.02.2010, gesperrt. Bis Samstag hat sich dann diese Information auch nicht geändert, nur das Datum wurde ausgetauscht. Statt „Sonntag, 21.02.2010“ stand jetzt „Sonntag, 28.02.2010“ da.
Das allein wäre aber noch kein Problem gewesen. Leider hatte man vergessen, Informationen bereit zu stellen, wann die Busse nach Lille abfahren würden, wann man dort ankommen und vor allem nach London weiter reisen konnte. Eine Hotline war nicht zu erreichen, auf zugegeben recht inquisitorische E-Mails wurde nicht geantwortet, und bei der Bahn konnte man mir auch nicht weiter helfen.
So begann ich Sonntagmorgen um 6.27 Uhr meine Fahrt ins Blaue mit der Ungewissheit, wann ich wo bzw. ob ich überhaupt ankommen würde. Obwohl der deutsche Winter mich noch mal mit heftigem Schneefall verabschiedete, gestaltete sich meine Fahrt bis Brüssel problemlos. Dort angekommen bekam ich auch schnell Gewissheit über den weiteren Verlauf meiner Reise. Um 11 Uhr würde ein Shuttle-Bus nach Lille fahren, wo ich dann sehr wahrscheinlich um 14.06 Uhr einen von Paris kommenden Eurostar nach London besteigen dürfe. Die Überfahrt nach Lille dauerte knapp 90 Minuten, so dass ich bereits um 12.30 da war. Viel zu früh, wie ich dachte, aber weit gefehlt. Die Schlange vor dem Eurostar-Schalter war L A N G ! (Dieses Wort normal auszuschreiben würde jeglicher Beschreibung spotten. Im Ernst, ich habe solche Schlangen bisher nur an Flughäfen gesehen!) Und in der Tat der Check-In Schalter hatte ein gewisses Flughafenflair. Erst musste man durch zwei Passkontrollen durch, dann sein Gepäck durchleuchten lassen, bevor man in einen übervollen Wartesaal geführt wurde, in dem man sich die Zeit verdingen durfte / musste, bis die Türen zum Gleis geöffnet wurden, wo man noch einmal von Stewards kontrolliert wurde. Irgendwann hatte ich dann alle Kontrollen hinter mir und wurde in den Wartesaal geleitet und tat das wofür ein Wartesaal da ist, nämlich warten. Das wäre gar nicht so schlimm gewesen, wenn nicht der einzige Kaffeeautomat in dieser Aufbewahrungshalle kaputt gewesen wäre!!!
Ich will allerdings auch nicht verschweigen, dass es etwas positives an der Organisation gab: Während wir in der Warteschlange vor der Zollkontrolle standen, sind Mitarbeiter rum gegangen und haben den Reisenden ihre reservierten Plätze im Zug zugewiesen. Allerdings war es so, dass der Eurostar von Paris schon so voll gebucht war, dass nicht alle Leute aus dem Bus noch einen Platz in diesem Zug bekommen haben. Die durften dann in Lille noch eine Stunde länger warten. Ich habe aber Glück gehabt und einen Platz in dem Zug zugewiesen bekommen, der Lille um 14.06 verließ und um 14.33 Ortszeit in London St. Pancras ankommen sollte.
Dieses ganze Geplänkel war deshalb sehr ärgerlich, da ich mich in London mit meiner Schwester und ihrem Freund treffen wollte. Wir waren so verblieben, dass ich kurz Bescheid sage, wenn ich Gewissheit habe wann ich ankommen würde, und das habe ich auch getan. Punkt 14.33 lief der Zug in London St. Pancras ein, und am Ende eines labyrinthartigen Checkout-Areals warteten die beiden auch schon auf mich. Endlich war ich angekommen!
Die beiden hatten schon ein dichtes Programm geplant, daher blieb keine Zeit, erst zu deren B&B zu fahren um meine Sachen da abzuladen. Also habe ich die wichtigsten Sachen in meinen kleinen Rucksack gepackt und hab die restlichen Taschen abgegeben, um diese dann morgen vor meiner Weiterfahrt wieder abzuholen. Es gibt in England keine Schließfächer, sondern nur Schalter, bei denen man die Sachen abgeben und dann auch wieder abholen muss. Das sollte mir am nächsten Tag zum Verhängnis werden.
Auf jeden Fall haben wir uns danach in Richtung London Dungeon begeben, ein mittelmäßig gruseliges Horrorpandemonium, wo mittelmäßige Schauspieler mittelmäßig gruselige Geschichten erzählen und sich redlich darum bemühen, einen zu erschrecken (meine Schwester wird mir in diesem Punkt sicher widersprechen  ). Nur der Freefall Tower am Ende der Tour hat es geschafft, mir Angst einzuflößen. Normalerweise kann man mich mit solchen Sachen echt scheuchen, aber ich hab ja schließlich dafür bezahlen lassen …
Chinesische Friedensnudelsuppe, gepaart mit Dumplings, Wonton und Kräutertee, war eine gute Entschädigung für diese Strapazen. Ein kurzer Rundgang durch Chinatown hat uns ein sehr uriges Antiquariat entdecken lassen, welches uns durch „Clearance Sale for Basement Books“, also Räumungsverkauf für alle Bücher im Keller angelockt hat. Der Duft von alten Büchern schlug uns schon beim öffnen der Tür mit einer rechten Geraden auf die Nase. So etwas uriges wie den Keller dieses Geschäftes habe ich selten gesehen. Zuerst wurde man oberirdisch von dem eigentlichen Verkaufsraum durch ein Labyrinth von kahlen Gängen geführt, in denen dort, wo genug Platz war, gelegentlich auch einzelne Regale mit fast vergessen wirkenden Büchern standen. Die Treppe in den Keller lag ganz versteckt, und der Keller glich in einigen Punkten fast einer Räuberhöhle: einem Versteck, dass nur wenigen bekannt, aber dafür angefüllt mit allen Schätzen der Welt ist.
Nach einem Kaffee sind wir dann völlig ermüdet in Richtung Bed & Breakfast gefahren, das wirklich weit außerhalb lag. Positiv aber war, dass die Wirtin von sich aus angeboten hatte, mir ein kostenloses zusätzliches Zimmer zur Verfügung zu stellen, und zwar als Entschädigung dafür, dass das Haus gerade von innen saniert wurde und es im Flur aussah wie auf einer Baustelle. Die Zimmer aber waren in einem super Zustand, und das Frühstück am nächsten Tag war auch klasse. Ich habe geschlafen wie ein Brett.
Aber damit war die Chaos-Reise noch nicht beendet. Mehr dazu gibt es aber beim nächsten Update.

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