Viel Lärm um nichts

Eine Tasse Tee und ein Glas Whiskey neben mir und die ganze Nacht vor mir. Ich habe mir fest vorgenommen, bis morgen früh diesen Blog auf dem neuesten Stand zu haben. Die Vorzeichen dafür stehen gut.

Also, wo war ich stehen geblieben? Ach ja, in Schottland.

Der Anlass, warum ich nach Schottland gefahren bin, war ja eigentlich. dass ich ein paar Besuche in meiner Funktion als Mystery Shopper machen musste, unter anderem zu Urquhart Castle am Loch Ness und zu einer alten, zu einem Museum umfunktionierten Whisky-Distillerie in Forres, beides in der Nähe von Inverness. Bevor ich diese Besuche durchführen kann, muss ich aber erst mal eine Job-Beschreibung und einen dazugehörigen Fragebogen ausdrucken. Nun hat es sich aber zugetragen, dass sich im gesamten Dorf kein funktionierender Drucker fand. Meine einzige Hoffnung, die Bibliothek, hatte an diesem Montag morgen leider zu. Dann habe ich ein Internet - Café gefunden, bei dem man angeblich drucken konnte, aber da hat der Drucker leider nicht funktioniert. Es wurde immer später, und als man endlich den Fehler gefunden hatte, musste ich schon zum Bahnhof um meinen Zug zu bekommen. Der Bahnhof war zum Glück nur fünf Minuten zu Fuß entfernt. Dort angekommen, musste ich feststellen, dass mein Zug eine ganze Dreiviertelstunde Verspätung hatte. Also bin ich wieder zurück zum Internet-Café, um endlich drucken zu können.
Da nun der Zug so verspätet war, konnte ich aber meinen Zeitplan nicht mehr einhalten, denn eigentlich wollte ich an dem Tag erst nach Forres zu der Distillerie fahren, um dann von dort aus noch nach Drumnadrochit zum Loch Ness zu kommen, wo ich meine Übernachtung gebucht hatte. Das hätte aber bedeutet, erst mit dem Zug eine Dreiviertelstunde nach Inverness zu fahren, dann mit dem Bus eine Stunde nach Forres, dann wieder von Forres nach Inverness, und dann erst von Inverness mit dem Bus nach Drumnadrochit zu fahren, was noch einmal eine halbe Stunde gedauert hätte. Das war nun nicht mehr möglich, und ich musste den Besuch der Distillerie um zwei Tage nach hinten verschieben, was glücklicherweise kein Problem und für mich weniger stressvoll war. Also bin ich mit dem verspäteten Zug nach Inverness gefahren, und dann direkt weiter zum sagenumwobenen Loch Ness.

Drumnadrochit ist ein kleiner Ort in der Mitte der Südseite vom Loch. Wenn man durch den Ort fährt, sieht man sofort, was hier die Einnahmequelle Nummer eins ist. Ein Loch Ness Visitor Centre hier, ein "Monster Exhibition Visitor Center" da, verschiedene Loch Ness Monster Hotels und einige Devotionaliengeschäfte ließen kaum Raum für Spekulationen, wo man sich hier befand.
Ich hatte mich in der Loch Ness Backpacker Lodge eingebucht, einem kleinen familiärn Hostel. Welches ich bei meiner Ankunft verschlosse vorfand. Ich hatte dieses Hostel über das Internet über Hostelworld gebucht. Wenn nun das Hostel über Winter geschlossen war und Hostelwprld davon nichts wusste? Das alles kam mir komisch vor. Das Schild an der Tür "bitte nicht klingeln - Telefonnummer hängt an Rezeption" hilf mir auch nicht weiter, ich kam ja nicht mal bs zur Rezeption, denn die war im Haus drin. Eine freundliche Nachbarin half mir weiter, indem sie mir verriet, wo die Besitzer von dem Hostel wohnten. Zum Glück war das nur fünf Minuten zu Fuß entfernt, und ich klingelte bei meinen Gastgebern in spe an. Es öffnete mir eine Frau, die etwas perplex war, einen fremden Backpacker vor der Tür zu haben. Die Situation klärte sich schnell. Außer mir war nämlich nur eine andere Familie im Hostel eingebucht, und Wendy, die Besitzerin, hielt es auf Grund der wenigen Gäste nicht für nötig, ständig Mitarbeiter vor Ort zu haben. So hat sie einfach die Familie am morgen gebeten, die Haustür nicht abzuschließen, wenn sie das Hostel verlassen würden, da noch jemand kommen würde. Was diese dann natürlich nicht befolgt haben.
Da der Besuch bei der Burg erst am nächsten Tag anstand, habe ich mich auf eine kleine Erkundungs- und Shoppingtour in den Ort begeben. Allerdings befand ich mich im nördlichen Schottland miten im Winter, das heißt es war um 15 Uhr stockduster und um 15.30 Uhr waren alle Geschäfte außer den Pubs dicht. Ich konnte gerade noch im Supermarkt ein paar Nudeln und Bier kaufen bevor auch der vor meiner Nase zugemacht hat. Der Abend hatte früher begonnen als vermutet, und es gab viel Zeit alleine im Hostel totzuschlagen.

Der nächste morgen begann mit einem Schocker. Ich saß gemütlich am Frühstückstisch als es an der Tür sturmklingelte. Wendy undihr Mann waren natürlich nicht da und ich war alleine. Eigentlich wollte ich nicht aufmachen, aber das klingeln hörte nicht auf. Irgendwann war es mir zu blöd und ich hab die Tür aufgemacht. Draußen stand ein Typ mit nem Koffer und wollte wissen, ob noch ein Bett frei wäre. Um acht Uhr morgens. Ich erklärte ihm, dass ich kein Mitarbeiter sei, sondern selbst hier übernachten würde. Der Typ kam mir zwar etwas suspekt vor, aber ich fühlte mich nicht dazu berechtigt, jemanden abzuweisen. Mir war aber trotzdem nicht geheuer. Ich zeigte ihm das Telefon an der Rezeption, von dem aus er die Besitzer anrufen könnte. Von Anfang an hat der Typ die ganze Zeit Fragen gestellt, wer ich sei, woher ich komme, was ich hier machen würde usw. Ich habe mich schon gefühlt wie auf einem Polizeirevier. Unglücklicherweise hatte ich meinen Computer und meine Kamera in der Küche, da ich gerade daran gearbeitet hatte, als er kam. Sofort war seine Aufmarksamkeit darauf gerichtet und er fragte mich aus wie teuer die gewesen seien und wo ich die gekauft habe usw. Ich habe natürlich den Preis deutlich herunter gespielt. Sein Telefonanruf bei der Besitzerin hat dann ergeben, dass er ein SChlafsaal-Bett haben wollte. In diesem Hostel gab es nur einen Schlafsaal, das bedeutete, ich musste das Zimmer mit ihm teilen. Grauenhafte Vorstellung, vor allem vor dem Hintergrund, dass ja nicht mal ein Mitarbeiter vor Ort sein würde, nur er und ich. Die Familie ist nämlich an meinem zweiten Tag dort ausgezogen.

Als der Typ dann irgendwann mal wieder gegangen war, habe ich noch mal bei Wendy angerufen und angefragt, ob es nicht doch zumindest möglich wäre, uns in zwei verschiedene Zimmer zu packen, was diese aber aus Kostengründen (wegen den Heizkosten) verneint hat. Ausserdem meinte sie, sie könne meine Bedenken gar nicht nachvollziehen, am Telefon hat sich der Typ ja ganz nett angehört. Schotten eben.

Der Typ war für den Rest des Tages weg und wollte erst am Abend wieder kommen, und ich hab die Zeit genutzt. die Gegend per Wanderung zu erkunden. Das Wetter war zwar eher mäßig, aber ich hab es genossen, hoch über dem Loch Ness zu wandern. Bei einem Wasserfall hatte ich die Gelegenheit, eine Rehmutter mit ihrem Kitz zu beobachten und zu fotografieren. Über eine halbe Stunde saß ich da und hab die beiden beim fressen beobachtet. Die beiden haben mich zwar bemerkt, aber da zwischen uns eine kleine Schlucht war, war ich keine Gefahr für sie.

Zurück am Hostel fand ich Wendy in der Rezeption vor. Sie hat noch einmal versucht, mir einzureden, dass ich mir keine Sorgen zu machen brauchte. Ich hatte mir bis dahin aber auch meine Gedanken gemacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass der Typ zwar nicht alle Latten am Zaun hatte, im großen und Ganzen aber wahrscheinlich harmlos war. Letzte Zweifel hatte ich dennoch.
Viel Zeit darüber nachzudenken hatte ich nicht, denn ich musste auch schon wieder aufbrechen zum etwa einen Kilometer entfernten Urquhart Castle, um dort meinen (zugegebenermaßen angenehmen) Pflichten nachzukommen.

Meine Aufgabe während der Besichtigung hatte mehrere Bestandteile. Es galt zum einen die Burg zu besichtigen, aber zum anderen gab es dort auch ein großes Visitor Center mit einer Ausstellung, einem Kinosaal, einem Café und einem Souvenirshop. Folgendes waren meine Instruktionen
- besichtige die Ausstellung um zu sehen ob alle Gegenstände, vor allem die interaktiven Displays, funktionieren
- schaue einen Film über die Burg im Kinosaal und überprüfe ob alles Reibungslos abläuft
- stelle mindestens zwei Mitarbeitern fragen über die Burg um zu schauen, wie intensiv ihr Wissen ist und wie sie mit Kunden umgehen
- besichtige die Burg und schaue, ob dort alles sauber und gut abgesichert ist und ob Schilder gut lesbar sind
- gehe zurück ins Café und bestelle was zu essen und zu trinken, frage die Mitarbeiter was zu empfehlen sei
- gehe in den Souvenirladen und kaufe ein Souvenir, frage einen Mitarbeiter was zu empfehlen sei
- besichtige die Toiletten.

So macht es Spaß, Geld zu verdienen, sag ich euch.
Mstery Shopping läuft so ab, dass Arbeitgeber sich an die Mystery-Shopping Agenturen wenden, damit diese ein dem Zweck zugeschnittenes Konzept ausarbeiten und dann Mystery Shopper schicken, die die speziellen Instruktionen befolgen müssen. In diesem Fall war der Auftraggeber Historic Scotland, die sich um die Aufrechterhaltung der Burg und die touristische Nutzung kümmern, ebenso wie auch bei der Whiskey-Distillerie, die ich später besucht habe. Mein Bericht über meine Erfahrungen und der Fragebogen, den ich nach meinem Besuch auszufüllen hatte, half Historic Scotland, eventuelle Missstände wie kaputte Displays, Sicherheitsrisiken oder auch unfreundliche Mitarbeiter zu erkennen und Maßnahmen dagegen einzuleiten. An diesem Tag aber war alles zu meiner vollsten Zufriedenheit gelaufen und Bericht und Fragebogen haben vor Lob gestrotzt. Ich habe eine interessante Burg gesehen, im Souvenirshop ein Weihnachtsgeschenk erstanden und umsonst lecker gegessen und getrunken UND bin dafür bezahlt worden. Herrlich!

Als ich meinen Besuch beendet hatte, war es schon dunkel, und die Burg (die übrigens auf einer kleinen Halbinsel im Loch Ness liegt) war klasse angestrahlt. Ich hatte meine Spiegelreflex dabei und hab mir die Gelegenheit nicht nehmen lassen, ein paar klasse Fotos zu machen.

Auf dem Weg zurück zum Hostel hatte ich die leichte Hoffnung, der Typ wäre nicht mehr da. Pustekuchen. Zeitgleich mit mir kam auch er wieder. Vor der Tür habe ich ihn getroffen und ihm Hallo gesagt. Er hat nichts gesagt und ist draußen geblieben, hat mich wohl nicht so recht erkannt. Ich schloss die Tür hinter mir als ich rein kam, da er keine Anstalten machte, auch rein zu gehen. Kurze Zeit später klopfte es an der Tür, und ich öffnete ihm. Erst als er mich meine Schuhe hat ausziehen sehen, wurde ihm bewusst, dass ich es war, der da gerade draussen an ihm vorbei gegangen ist. Betrunken war er nicht, sein Verhalten musste einen anderen Grund haben. Und die weiter Unterhaltung mit ihm am Abend (so nervig es auch war, da er nie aufhörte, Fragen zu stellen) wurde mir langsam bewusst, mit wem bzw. was ich es hier zu tun hatte: er zeigte deutliche Anzeichen von (Asperger) Autismus. Eines der Symptome davon ist beeinträchtigte, verzerrte Sinneswahrnehmung, was erklärte warum er mich draussen in der Dunkelheit nicht erkannt und sich erst mal nicht rein getraut hatte.
Der Mann von der Besitzerin hat uns zumindest für den Abend Gesellschaft geleistet. Ich vermute, das lag an der Äußerung meiner Bedenken gegenüber Wendy am morgen. Aber vor dem Hintergrund der neu gewonnenen Erkenntnis sah auf einmal alles ganz anders aus und ich hatte eigentlich kein Problem mehr, mein Zimmer zu teilen.
Trotzdem habe ich gewartet bis er schon schlief bevor ich auch ins Bett gegangen bin. Seine Reaktion als ich ins Zimmer kam bestätigte meine Vermutung. Die Bodendielen im Zimmer waren recht laut. Er ist davon aufgewacht, und zwar völlig in Panik. Er fragte mich wer ich wäre, und meine Antwort, dass ich es sei, sein Zimmergenosse, hat ihm nicht genügt. Ich musste das Licht anmachen und mich ihm zu erkennen geben (meine Stimme hat er nicht erkannt) bevor er sich wieder beruhigt hatte. Er meinte, er hätte völlig vergessen, dass er das Zimmer mit jemandem teilen würde.
Als ich sein leises schnarchen von der anderen Seite des Raumes hörte, bin ich auch eingeschlafen (mit allen meinen Wertsachen mit mir im Bett oder gut versteckt...)


Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach. Wir haben jetzt 3 Uhr morgens und ich gehe ins Bett. Gute Nacht!

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