Aviemore, zweiter Tag.
Wo sind meine Beine hin und wer hat mir die zwei wabbligen Stengel unter mir untergeschoben? Jedes Aufstehen tut weh und wenn ich laufe, sieht das so aus, als ob ich mir in die Hose gemacht hätte. Und das alles nur von ein bisschen wandern.
Ich kann nicht mit absoluter Genauigkeit sagen, wie viele Kilometer ich heute “gemacht” habe, aber es dürften so zwischen 25 und 30 gewesen sein. Ab in die Wildnis.
Mein größtes Problem war zunächst die Orientierung. Meine “Karte” hat dahingehend leider nicht viel hergegeben, und beschildert sind die Wege auch nur, wenn die Parkranger gerade Lust dazu hatten, irgendwo einen Wegweiser hin zu pflanzen. Aber das war nur am Anfang ein Problem. Was mich viel mehr genervt hat, war das nahe bei gelegene Tontaubenschiessen. Ich wollte schließlich auch etwas Wildife sehen, und wenn ständig von irgendwo her Schusslaute kommen ist die Wahrscheinlichkeit dazu extrem gering. Mir blieb nichts anderes übrig, als mich weiter in den Park hinein zu vertiefen .
In den Cairngorms liegt Großbritanniens zweithöchster Berg, der Ben Macduie. Von Aviemore ist dieser Berg im Sommer wohl leicht zu besteigen, im Winter ist das eher schlecht. Ich bin dem Pfad gefolgt, bis ich im Schnee fast stecken geblieben bin. Aber es hat sich gelohnt, denn die Sicht von da aus war schon ziemlich umwerfend. Von dort aus habe ich mich aufgemacht, den Loch Morlich einmal zu umrunden. Der See lag wieder unten im Tal bei dem kleinen Ort Glenmore und war komplett zugefroren. Mit dem Hintergrund der schneebedeckten Berge hat auch der See ein tolles Fotomotiv abgegeben. Leider wurde es schon langsam dunkel (um14.30 Uhr!!) und ich musste mich sputen. Am oberen Ende des Sees hörte dann auf einmal wieder die Beschilderung auf, und ich bin den Pfaden auf gut Glück gefolgt (ich wusste allerdings, dass die Hauptstraße und der Ort nicht weit entfernt von mir waren). Glücklicherweise habe ich da aber noch jemanden getroffen, der mir genau sagen konnte, wo ich her gehen musste.
Um 15.30 Uhr war ich in Glenmore. Ich wusste, dass von dort aus ein Pfad entlang der Straße zum 8 Kilometer entfernten Aviemore führte. Ich hatte kurz überlegt, ob ich per Anhalter fahren sollte, aber das hat mir mein Stolz verboten, ich wollte die ganze Strecke zu Fuß schaffen. Der Weg führte auch an der Straße entlang … bis er dann auf einmal in den Wald abbog. Netterweise war dieser Weg wieder beschildert und ich wurde vergewissert, dass ich trotzdem auf dem richtigen Weg war. Bei Dämmerung durch den Wald zu wandern hat mir zuerst gar nicht gefallen. Bis ich den ersten Hirsch gesehen habe. Das hat mich entschädigt. Nach etwa einer halben Meile führte der Weg mich auch wieder zurück zur Straße und blieb dann auch da für den Rest des Weges. Ich war allerdings froh, dass ich meine Taschenlampe mitgenommen hatte, denn langsam aber sicher wurde es stockduster.
Als ich den Punkt an der Straße erreicht hatte, von dem ich aus am morgen in den Wald gewandert war, hab ich mich gefreut wie ein Kind, denn meine Beine taten weh und von da aus war es nicht mehr weit bis zum Hostel.
Übrigens: meine Wanderschuhe, die ich mir für 15 Pfund in einem Charity Shop gekauft habe, sind wahre Wunderstiefel. Ich bin damit durch Flüsse gewatet und durch einen halben Meter hohen Schnee gewandert, und meine Füße waren so trocken wie Saharasand. Ich liebe diese Schuhe!
teegernseher82 - 13. Dez, 19:39
Aviemore in den Cairngorms ist nur 40 Minuten mit dem Zug entfernt von Inverness, aber es fühlt sich an wie eine andere Welt. Die Stadt lebt einzig und allein vom Tourismus, und momentan ist hier absolute Ski-Hochsaison, auch wenn es etwas zu früh dafür ist im Jahr. Die umliegenden Berge sind endlich mal richtig schneeweiß, und auch im Ort lag zumindest ein bisschen Schnee, auch wenn es schon stark am abtauen war. Aviemore liegt übrigens am River Spey. Für die Whiskeyfans unter euch wird der Begriff “Speyside” mit Sicherheit keine Neuheit sein. Hier in der Nähe werden Marken wie Grant’s, Glenfiddich, Glenfarclas, Aberlour und viele mehr hergestellt. Allerdings nicht in Aviemore an sich, sondern die meisten Distillerien sind in Dufftown, etwa 30 km nördlich von hier.
Die Cairngorms sind Großbritanniens größter Nationalpark, und Cairngorm Mountain ist mit seinen 1245 Metern höhe auch nur schwer zu übersehen. Ich habe mich heute dazu entschlossen, eine Halbtageswanderung zu einem großen See im Nationalpark zu machen (Lake Eilinn). Der Weg warwegen dem Tauwetter etwas beschwerlich, aber es hat sich gelohnt. Der See war wirklich pittoresk und vor allem wegen den schneebedeckten Bergen im Hintergrund sehr fotogen. Zu allem malerischen Überfluss gab es auch noch eine Insel mit einer Burgruine mitten im See. Herrlich.
Das Problem, wenn man mitten im Winter in den Bergen wandern geht ist, dass es extrem früh dunkel wird. Und da ich ja heute erst in Aviemore angekommen bin, war das Wandervergnügen nach wenigen Stunden schon beendet. Aber morgen, ja morgen stehe ich gaaaaaaanz früh auf und mache mich auf in die Berge. (Wer’s glaubt ….)
teegernseher82 - 13. Dez, 19:36
Inverness an sich ist ein ganz nettes Städtchen. Der River Ness schlängelt sich malerisch durch die Innenstadt, aber in gehbarer Entfernung davon bietet er auch eine nette Gelegenheit, einen ruhigen und beschaulichen Spaziergang über die Ness Islands zu machen.
Mein Tag begann aber in dem wohl größten Antiquariat, was ich je gesehen habe. Leaky’s Second Hand Bookshop & Café ist eine große Halle voll mit alten Büchern, unordentlich aber gemütlich. Ein Antiquariat eben. Auf einer Empore hoch über diesem Bücherchaos habe ich meinen ersten Kaffee am Tag genossen, bevor ich mich aufgemacht habe, die Stadt zu erkunden.
Viel Stadt gibt es allerdings nicht zu erkunden. Die Fußgängerzone besteht aus vier kurzen Straßen. Das anliegende Shopping-Center ist zwar größer, hat es mir aber nicht wirklich angetan. Also habe ich den Fluss überquert und bin ihm mehrere Kilometer lang gefolgt, raus aus der Stadt und rein in die Natur. Die oben beschriebenen Ness Islands waren tatsächlich eine Abwechslung. Unter anderem konnte ich dort einen Kranich aus nächster Nähe beobachten.
Eine tadt ist in Schottland keine Stadt wenn sie nicht auch eine ordentliche Burg hat. Inverness ist da keine Ausnahme. Die Burg thront hoch über dem Fluss, und man hat eine herrliche Aussicht von da oben. Die Burg an sich allerdings steckt noch in den Kinderschuhen, zumindest wenn man sie vom Alter her mit den umliegenden vergleicht. Erst im 18. Jahrhudert ist sie errichtet worden, und das auch nicht als Festung, sondern eher als Schloss.
Was der ganzen Stadt natürlich fehlte, war klar: Schnee. Seit Wochen kamen die Meldungen im Fernsehen, dass Schottland im Schnee versinken würde, aber Inverness hat davon wohl nichts mitbekommen. Ein bisschen Schneematsch am Straßenrand zählt da nicht. Also habe ich kurzerhand beschlossen, die nächsten zwei Nächte in den nahe liegenden Cairngorms zu verbringen. Da dieser Nationalpark ein Skigebiet ist, sollte man vermuten, dass die Schneedecke dort ein bisschen höher sei als hier.
Wir werden sehen …
teegernseher82 - 13. Dez, 19:35
Seit Wochen schon hatte ich mich wie ein Kind auf die Fahrt nach Inverness gefreut. Jedes Mal, wenn in den Nachrichten über die “Katastrophale Wettersituation” in Schottland berichtet wurde, ist meine Vorfreude noch einmal ums dreifache angewachsen. Endlich richtigen Schnee sehen, und das auch noch in der Wildnis in den schottischen Highlands …
In meiner Phantasie wuchs die Schneemenge auf drei Meter an, und selbst nachts habe ich von dieser Fahrt geträumt. Dann sah ich kurz vor meiner Abfahrt einen Bericht aus den Cairngorms, einer Bergkette in der Nähe von Inverness, also genau aus der Gegend wo ich hin fahren würde. Da war alles weiß, und die Wildtiere tummelten sich da nur so, zumindest in diesem Beitrag.
So weit so gut. Vor dem Tag der Abreise bin ich dann erst einmal auf den Boden der Tatsachen zurück geholt worden. Ich hatte mir die Zugtickets online bestellt, trotzdem musste ich mir die am nächsten Bahnhof ausdrucken lassen (klingt komisch, ist hier aber so; technisch ist man hier eben noch nicht so weit wie in Deutschland, wo man die Tickets einfach zugemailt bekommen kann …). Jetzt hatten sich aber kurzfristig die Öffnungszeiten des Bahnschalters geändert. Dieser hat nämlich, wie sonst an einem Mittwoch üblich, nicht um 16 Uhr die Schotten dicht gemacht, sondern schon um 12.30 Uhr. Da stand ich nun ich armer Thor und war so klug als wie zuvor. Also bin ich zurück nach Hause und habe bei der Hotline von der Firma angerufen, bei der ich die Tickets gekauft habe. Die haben mich dann netterweise erst einmal mit Indien verbunden. In Indien hat man mir dann mitgeteilt, dass es zur Zeit technische Probleme mit der Datenbank geben würde und ich in einer halben Stunde noch einmal anrufen müsste. Nach einer Stunde war das Problem noch immer nicht gelöst, so dass man mir erst bei meinem dritten Anruf in Indien sagen konnte, dass das jetzt mein Problem sei und man mir nicht weiterhelfen könne. Ausserdem wollte man mir dort weis machen, dass im Internet stünde, die Station bei mir sei 24 Stunden lang besetzt und ich sollte doch noch mal da hin fahren. Ja klar. Letzteres Telefonat hat mich so verärgert dass ich den Manager am Telefon verlangt habe. Beim warten auf den Manager ist mir dann aber leider das Guthaben ausgegangen …
Das Problem war eigentlich nur, dass ich gerne am nächsten morgen um 5.39 Uhr die erste Verbindung genommen hätte. Das war nun nicht mehr möglich, denn ich musste warten, bis die Station öffnete um meine Tickets zu bekommen und dann hoch zu fahren. Ich wollte deshalb die erste Verbindung nehmen, da ich wusste, dass es auf Teilen der Strecke zu erheblichen Störungen und Verspätungen kommen würde. So konnte ich aber erst um 08.00 los fahren.
Die Odyssee begann. Mein ursprünglicher Plan war folgendermaßen:
Gobowen - Wolverhampton
Wolverhampton - Carlisle
Carlisle - Edinburgh Haymarket
Haymarket - Inverness.
Schon am Bahnschalter hat man mir erzählt, dass das so nicht geht, auch wenn mir die Internetseite von National Rail diese Strecke so angegeben hat. Denn (und das ist eine sehr witzige Regel) wenn man ein Ticket für eine Fahrt nach Norden hat, kann man nicht erst nach Süden fahren. Da Wolverhampton südlich von uns liegt, war das ein No-No für mich. Die Strecke wurde dadurch ein wenig komplizierter
Gobowen - Shrewsbury
Shrewsbury - Crewe
Crewe - Carlisle
Und von dort aus wie gewohnt weiter. Der Fakt dass auch Shrewsbury südlich von mir liegt hat die Dame dabei großzügigerweise nicht gestört.
Auf der Strecke von Crewe nach Carlisle begann das Dilemma. Diese führt nämlich durch den wunderschönen Lake District National Park. So schön die Gegend auch sein mag, aber auch hier hat Schnee und Eis zugeschlagen und den Weichen und Schienen zugesetzt. Streckenweise konnte der Zug nur Schritttempo fahren und kam mit einer Verspätung von 20 Minuten in Carlisle an. Eigentlich hätte ich dort meinen Anschlusszug nicht bekommen, glücklicherweise steckte der aber auch hinter uns fest, so dass ich den doch noch bekommen habe.
Da ich meinen Anschluss in Edinburgh vermutlich auch verpassen würde, habe ich eine Schaffnerin gefragt, wie ich denn nach Inverness kommen würde. Die Antwort war simpel: “Es fahren zur Zeit keine Züge von Edinburgh nach Inverness. Stattdessen habe ich einen neuen Fahrplan von ihr bekommen, der sah so aus:
Edinburgh ab 15:35 - Perth an 16:54 Uhr
Perth ab 17:18 - Inverness an 19:34 Uhr
Ich sollte aber nicht in Haymarket aussteigen, sondern in Edinburgh Waverley (also dem Hauptbahnhof), da wegen des schlechten Wetters nicht alle Züge in Haymarket halten würden.
Ich stieg also in Edinburgh aus und hatte 1,5 Stunden Zeit, mir die Stadt anzuschauen. Ich traute meinen Augen nicht: das bisschen Schnee hat für so viel Aufruhr gesorgt? Also wirklich, die Briten sind weltklasse im Übertreiben! Aber ich hab mich erst mal daran gemacht, die Burg von Edinburgh zu begutachten, dafür ist diese Stadt ja schließlich weltbekannt. Ausserdem gab es eine kleine Weihnachtskirmes, gerade genug um meine 1,5 Stunden voll zu kriegen.
Der nächste Schock folgte, als ich wieder zurück zum Bahnhof kam: Es fuhren keine Züge nach Perth oder überhaupt in die Richtung, in die ich wollte, schon gar nicht der Zug, der mir von der Schaffnerin empfohlen wurde. Ich müsste über Aberdeen fahren, hat man mir erzählt, und dann auf die Schlange für den Zug nach Aberdeen gedeutet. Ich fühlte mich verarscht. Die Schlange war glatt einen halben Kilometer lang (in den großen Bahnhöfen gibt es ein Schlangensystem für alle Gleise. Die Drehkreuze werden erst geöffnet, wenn der Zug eingefahren ist, und dann werden die Leute einer nach dem anderen durchgeschleust). Aber ich hatte Glück im Unglück, denn es wurde eine kurzfristige Gleisänderung für den Zug nach Aberdeen bekannt gegeben, und zwar zu einem Gleis am anderen Ende des Bahnhofs. Alles rannte dahin, und ich rannte mit. An dem Gleis angekommen fühlte ich mich noch mehr verarscht. Da stand ein Zug mit zwei Waggons, der hunderte von Leuten transportieren sollte. Und wirklich, wir wurden alle verarscht, denn die Gleisänderung wurde wieder zurück genommen und durchgesagt, dass der Zug doch auf dem geplanten Gleis abfahren würde. Kommando zurück alle rannten wieder quer durch den Bahnhof, um dann brav wieder eine Schlange zu bilden. Und ich war mitten drin J. Das hat mir aber leider nichts genützt …
Als der Zug eingefahren war, wurden einige der Wartenden aufs Gleis durchgeschleust, inklusive mir. Der Zug war aber schon fast voll, aus allen Türen quollen die Leute schon heraus. Nur ganz hinten im letzten Waggon war noch Platz, also rannte ich da hin. Leider vergeblich, denn als ich da ankam wurde die Tür gerade geschlossen. Ich bin dann ganz schnell zurück gerannt zum nächsten Schaffner und hab gefragt, warum der Zug denn abfahren würde, obwohl der letzte Waggon noch nicht voll sei und noch hunderte Menschen darauf warteten, nach Aberdeen zu kommen. Die Antwort darauf war, dass der Zug voll sei, jetzt abfahren würde und ich das Gleis bitte verlassen solle. Ich wurde wütend und hätte wahrscheinlich (was bei mir eher selten vorkommt) gebrauch von Gewaltausdrücken genommen, wenn nicht gerade hinter mir zwei Polizisten gestanden hääten. Jetzt musste ich mich nämlich wieder hinten an stellen. Anstatt dass die Schlange für den nächsten Zug nach Aberdeen kürzer geworden wäre ist sie sogar noch ein bisschen länger geworden.
Der Grund für das ganze Chaos war übrigens, dass wegen der Kälte die Kupplungen an den Wagen eingefroren waren und man daher nur eine begrenzte Anzahl an Waggons auf die Reise schicken könne …
Am Informationsschalter in der Bahnhofshalle habe ich dann erfahren, dass tatsächlich geplant wäre, dass ein Zug nach Inverness (der erste an dem Tag) den Bahnhof um 17.41 Uhr verlassen würde, aber das sei noch nicht so sicher. Tapfer wie ich war stellte ich mich also in die Schlange für den Zug nach Aberdeen und wartete ab, was passieren würde. Als dann der nächste Zug nach Aberdeen um 16.30 in den Bahnhof einfuhr, verdichteten sich die Anzeichen immer mehr, dass der Zug nach Inverness tatsächlich fahren würde, also trat ich aus der Schlange aus und wartete auf den Inverness-Zug.
Und tatsächlich, pünktlich um 17.41 Uhr, vier Stunden nach Plan, saß ich in dem Zug, der meinen finalen Reiseabschnitt bestreiten sollte. Dieser rollte dann, mit “nur” 25 Minuten Verspätung um 21.30 Uhr in Inverness ein.
Als ich dort aus dem Bahnhof trat staunte ich nicht schlecht. In Inverness lag ÜBERHAUPT KEIN SCHNEE!!!
Hungrig und müde machte ich mich auf zu meinem Hostel, das zum Glück nur ein paar Minuten zu Fuß vom Bahnhof entfernt war. Auf dem Weg dorthin kam ich an einer Domino’s Pizzeria vorbei. Das machte mich glücklich. Mein Abendessen war gerettet!
teegernseher82 - 13. Dez, 19:30